AllgemeinAbb. Blog-Artikel: Ingenieure Tomshöfer & Partner – Fachbericht „längenorientierte Arbeitsgerüste“

Leistungsfähig und innovativ

Längenorientierte Arbeitsgerüste mit Überbrückungen bis 22,00 m Länge
Im Arbeitsgerüstbau gehören Überbrückungen zum Tagesgeschäft, da es praktisch kein Bestandsbauwerk ohne Zugänge, Einfahrten oder nicht belastbare Bereiche wie beispielsweise Vordächer gibt. Überbrückungslängen von ca. 4,0 m bis 6,0 m sind oft bei den Gerüstherstellern schon in der Aufbau- und Verwendungsanleitung enthalten und können entsprechend den Vorgaben der jeweiligen Aufbau- und Verwendungsanleitung vom Gerüstaufstellerbetrieb im Regelbereich der jeweiligen Typenberechnung ohne weiteren Nachweis montiert werden.

Interessant wird eine Überbrückung bei größeren Spannweiten, da die Spannweite oft der maßgebliche Faktor für die Belastung der eingesetzten Bauteile ist, wie die Beispielrechnungen auf der nächsten Seite (Abb. 1, Abb. 2 und Abb. 3) zeigen sollen.

Abb. 1: Überbrückung mit Gleichstreckenlast, Spannweite L = 6,0 m
Abb. 2: Überbrückung mit Gleichstreckenlast, Spannweite L = 8,0 m
Abb. 3: Überbrückung mit Gleichstreckenlast, Spannweite L = 10,0 m

Randbedingungen:
Arbeitsgerüst nach DIN EN 12811, Lastklasse 3, Einflußbreite
b = ca. 0,32 m

Wie man den Beispielrechnungen entnehmen kann, vergrößert sich bei unveränderten Vertikallasten (siehe Eingabedaten) durch die schrittweise Erhöhung der Spannweite (von L1 = 6,0 m auf L2 = 8,0 m und L3 = 10,0 m) die Biegebelastung (Momentenbelastung) des eingesetzten Überbrückungsträgers um ca. 275 %, obwohl sich die Spannweite nur um ca. 60 % vergrößert hat. Das liegt daran, dass die Spannweite bei der Berechnung des Biegemomentes z. B. in folgender Formel eingesetzt und in der Berechnung zum Quadrat genommen werden muss, um das auftretende Biegemoment zu berechnen:

Die Spannweite kann also ein entscheidender Faktor für die Auswahl des notwendigen Überbrückungsträgers sein und ist neben der aufzunehmenden Vertikallast oft für die Bemessung des Überbrückungsträgers maßgeblich.

In unserem Beispiel würde ein branchenüblicher GT45 in Stahlausführung die Vertikallasten aufnehmen und über den Kupplungsanschluß in die Vertikalstiele ableiten (Abb. 4).

Abb. 4: Prinzipskizze Kupplungsanschluß GT45

Wenn nun die Bauwerke etwas komplexer und größer werden, können sich die notwendigen Überbrückungslängen und die aufzunehmenden Vertikallasten sehr deutlich erhöhen, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht (Abb. 5).

Abb. 5: Ansicht Bestandsbauwerk BLB Düsseldorf Revitalisierung B1 (Quelle: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW)

Bei dem in Abb. 5 dargestellten Bestandsbauwerk wird eine umfassende Sanierung des Bauwerkes als auch der kompletten Fassade durchgeführt. Als Höhenzugang und als Arbeitsraum ist zur Durchführung der Sanierungsarbeiten ein umlaufendes Arbeitsgerüst erforderlich. Es handelt sich also um „bauen im Bestand“. Dies führt zu erhöhten Anforderungen im Bereich der Gerüstkonstruktion, da es bestehende Zwangspunkte gibt, die zu berücksichtigen sind.

Im gezeigten Beispiel wurde bereits in der Baubeschreibung als auch in den Ausschreibungsplänen erläutert, dass der Vordachbereich des Haupteinganges mit einer geeigneten, nach Wahl des Auftragnehmers auszuführenden Überbrückung während der Sanierungsarbeiten freizuhalten ist. Die zur Einhaltung der
bauseitigen Vorgabe notwendige Überbrückung hat daher eine Spannweite von ca. 22,0 m. Dass der Bereich oberhalb der Überbrückung ebenfalls bearbeitet werden muss, kann als selbstverständlich eingestuft werden.

Das bedeutet, auf dem Überbrückungsträger steht eine ca. 42,0 m hohe Gerüstkonstruktion ausgeführt in Lastklasse 4, d. h. mit einer Nutzlast von 3,0 kN/m2 auf 1,5 Arbeitslagen und einer 30er Innenkonsole zur Einhaltung des maximalen Wandabstandes von höchstens 0,30 m, was infolge der größeren Belagsfläche zu einer deutlichen Vergrößerung der Vertikalstiellasten führt (Abb. 6 und Abb. 7).

Abb. 6 und Abb. 7: Ansicht Gerüstkonstruktion und Überbrückung L = 22,0 m

Aufgrund der notwendigen Lastklasse als auch der notwendigen Innenkonsole müssen bei einer Spannweite von 22,0 m alle 2,50 m Vertikalstiellasten von bis zu 46,40 kN durch den Überbrückungsträger an der Innenscheibe der Gerüstkonstruktion aufgenommen werden (Abb. 8).

Abb. 8: Statisches System Überbrückungsträger

Durch die Vertikalstiellasten als auch durch die Spannweite entstehen enorme Biegebelastungen des Überbrückungsträgers, was dazu geführt hat, dass der Überbrückungsträger als Walzprofilträger HEA 500 S355 ausgebildet werden musste, um die entstehenden Belastungen aufnehmen und in die Auflager (Schwerlasttürme) ableiten zu können.

Zu den enormen Belastungen des Überbrückungträgers entstehen zwangsweise auch entsprechend große Auflagerlasten der Überbrückungsträger. Diese liegen in unserem Beispiel pro Auflagerturm (Schwerlastturm) bei 2 x 212,0 kN, also gesamt bei ca. 424,0 kN zuzüglichem Eigengewicht des Auflagerturmes, was dazu führt, dass man sich über die Lasteinleitung als auch die Gerüstturmund Gründungsausbildung Gedanken machen muss (Abb. 9).

Abb. 9: Ansicht Schwerlastturm zur Aufnahme der Überbrückungsträger

Im Beispiel wurde entschieden, dass zur Aufnahme der Auflagerlasten ein Schwerlastturm in Modulbauweise mit 8 Vertikalstielen und einer reduzierten Knicklänge ausgebildet wird.

Bei den aufzunehmenden Vertikallasten sollte es selbstverständlich sein, dass die bauseitige Gründung horizontal und ausreichend tragfähig ausgebildet sein muss. Hier ist der Gerüstaufstellerbetrieb im Vorfeld im Rahmen seiner Hinweis- und Mitwirkungspflicht gegenüber dem/der Auftraggeber*in gefordert.
Damit die bauseitige Gründung erstellt und nachgewiesen werden kann, müssen im Vorfeld alle notwendigen Lastangaben aus der Gerüstkonstruktion durch den Gerüstaufstellerbetrieb bzw. den/die Gerüststatiker*in – also vor Montage – gemacht werden.

Wenn die Arbeitsvorbereitung geklärt ist, kann die Montage auf der bauseitigen Gründung unter Beachtung einer Gefährdungsbeurteilung als auch einer Montageanweisung erfolgen, bis die Schwerlasttürme zur Aufnahme der Überbrückungsträger in fertiger Arbeit montiert sind.

Hier ist es wichtig, dass sowohl die vertikale als auch die horizontale Lastableitung (z. B. Horizontalanker zum Bestandsbauwerk) vor dem Auflegen der Stahlträger montiert sind, da so ein Stahlträger bei der notwendigen Bauteillänge ein Eigengewicht von ca. 3,85 to hat und die Belastung direkt beim Aufsetzen vorhanden ist bzw. vom Schwerlastturm sowohl horizontal als auch vertikal aufgenommen werden muss (Abb. 9).

Der Vorteil bei einer Überbrückung in Stahlbauweise ist vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennbar, denn wenn Höhe und Feldeinteilung sorgfältig geplant und örtlich umgesetzt werden, kann ein durchlaufendes Arbeitsgerüst ohne Höhenversprünge in den Arbeitslagen entstehen, Das hat sowohl für den Gerüstaufstellerbetrieb als auch für den/die Gerüstbenutzer*in deutliche Vorteile (Abb. 7).

Die Kombination aus Gerüstbauteilen mit Stahlbauteilen zeigt, wie innovativ und leistungsfähig Gerüstbau sein kann, um einen wirtschaftlich sinnvollen und für den/die Gerüstbenutzer*in einwandfreien Höhezugang bzw. Arbeitsplatz zu schaffen.

An dieser Stelle besten Dank an die Fachleute der Gerüstbau Bönninger GmbH aus Dortmund die sich dieser Aufgabe gestellt haben.